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Die Romane von Nick Hornby, etwa „Fever Pitch“ und „About a Boy“, bestechen damit, dass sie Ernstes durchweg mit Humor reflektieren. Die Fangemeinde ist groß. Auch die Verfilmungen der Bestseller sind stets erfolgreich.

Wieder setzt Hornby trockenen Witz als Waffe gegen die Unbill der Welt ein. Und das bei einem hochdramatischen Thema: Suizid. Regisseur Pascal Chaumeil und der bisher durch viele Arbeiten für das Fernsehen bekannte Drehbuchautor Jack Thorne setzen dementsprechend auf pointierte Dialoge. Sie vor allem sorgen für eine kluge Balance von Komik und Tragik. Freilich ist es wie immer bei Literaturverfilmungen: Kürzungen sind unvermeidlich. Doch das Wesentliche kommt kraftvoll zur Wirkung: die hinter dem Witz lauernde ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Wert des Lebens.

Der Auftakt ist grotesk und bitter zugleich. Da treffen vier Lebensmüde auf einem Hochhausdach aufeinander: der wegen einer schmuddeligen Sexaffäre vor den Trümmern seines Lebens stehende Ex-TV-Star Martin (Pierce Brosnan), die nach dem verschwinden ihrer Schwester psychisch labile Politiker-Tochter Jess (Imogen Poots), die an der Fürsorge für ihren behinderten Sohn zerbrechende Maureen (Toni Collette) und der bisher vergeblich von einer großen Musikerkarriere träumenden Pizzabote J. J. (Aaron Paul). Sie alle wollen springen. Doch die Gegenwart der anderen hält die Todeskandidaten von der Tat ab. Statt den unwiderruflich letzten Schritt zu wagen, gehen die Vier aufeinander zu. Sie beschließen, in jedem Fall long_320bis zum Valentinstag durchzuhalten. Die Folgen dieses Entschlusses sind überraschend, dramatisch und komisch – und verweisen mit satirischer Schärfe auf einige Schwachstellen der bürgerlichen Gesellschaft.

Oberflächlicher Ulk, falsches Pathos oder gar seichte Romantik haben keine Chance. Die existentiellen Probleme des Quartetts werden nicht verwässert. Dazu kommt eine satirisch-scharfe Auseinandersetzung mit der allgegenwärtigen Tendenz, in den Massenmedien alles und alle auszuschlachten, um den Profit mit wirklichen oder angeblichen Sensationen in die Höhe zu treiben. Die Vier geraten nämlich in die Schlagzeilen und Fernsehtalkshows. Die Journaille stürzt sich auf jeden Aspekt der Story. Privatleben gibt es für die Anti-Helden keins mehr. Da stoßen einem einige reale Ereignisse der letzten Zeit (nicht nur in Deutschland) gallebitter auf.

Bravourös gelungen ist die Verwandlung des Buches in einen Film auch stilistisch: Der Roman ist als Tagebuch verfasst, wobei die Schreibenden oft, meist nach nur wenigen Seiten wechseln, und sich die einzelnen Stimmen allmählich zu einem Chor vereinen. Das ließe sich nicht eins zu eins umsetzen. Drehbuchautor Jack Thorne hat den Film deshalb gleichsam geviertelt. Jede der Hauptfiguren erzählt die Geschichte für eine gewisse Zeit aus ihrer Perspektive. Diese Perspektiven sind filmisch exzellent zusammen gefügt, so dass nie ein ungewollter Bruch entsteht. Was natürlich auch den Schauspielern zu danken ist, die zu einer wirklichen Ensembleleistung zusammengefunden haben. Alle spielen wunderbar und holen das Innere der Protagonisten ohne grobe Überzeichnungen nach außen. Allerdings überragt die junge Imogen Poots die anderen um Längen. Wie im Buch, so ist es auch im Film die Figur der Jess, die das Publikum im Sturm erobert. Imogen Poots gilt in Großbritannien zur Zeit als  d e r  Shooting Star. Äußerlich ein wenig an die junge Goldie Hawn in die „Die Kaktusblüte“ erinnernd, auch in ihrer Agilität, verfügt sie über vielfältige schauspielerische Mittel. Mit schöner Sensibilität bewahrt sie die Figur vor dem Abgleiten ins Hysterische, offenbart statt dessen eine anrührende Natürlichkeit.

Am Ende dann wird’s allerdings ein wenig süßlich. Der Film will partout Mut zum Leben machen. Das Schöne selbst daran: es funktioniert!

Peter Claus

A Long Way Down, von Pascal Chaumeil (Großbritannien / Deutschland 2014)

Bilder: DCM