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Nein, einen derart langweiligen Film haben die Vorkämpferinnen der Emanzipation der Frau nicht verdient. Schade, dass ihre Kino-Ehrung derart dröge ausgefallen ist.

Woran liegt’s? Daran, dass die Story zu schlicht und viel zu vorhersehbar ist, daran, dass einige Aspekte der wahren Ereignisse, die der Erzählung zugrunde liegen, heutzutage nicht eins zu eins nacherzählbar sind, daran, dass es dem Film am Wichtigsten mangelt, nämlich an Phantasie.

Das Thema ist nach wie vor aktuell: Auch in der sogenannten westlichen Welt ist es nicht lange her, da es für Frauen galt, sich auf die Schlagworte „Kinder, Küche, Kuschen“ reduziert zu sehen, nichts anderes sein zu dürfen als Heimchen am Herd. Regisseurin Sarah Gavron und Drehbuchautorin Abi Morgan, bekannt zum Beispiel durch ihr Skript zu „Die eiserne Lady“, illustrieren den Aufbruch der englischen Frauenbewegung vor etwa 100 Jahren. Aber sie stellen keine Fragen, und sie streifen die politische Dimension gerade mal. Vertiefung findet nicht statt. Dabei beruht die Story nur in Eckpfeilern auf Tatsachen. Das Zentrum der Geschichte ist erfunden, von Abi Morgan für ihr gleichnamiges Theaterstück. Das hat es nun also als Melodram in die Kinos geschafft. So ehrenwert es ist, so langweilig ist es leider auch. Gut gemeint ist noch lange nicht gut.

Die Story rankt sich um die Arbeiterin Maud Watts (Carey Mulligan). Sie hat ein schweres Dasein, typisch für Frauen des Proletariats zur Zeit der Handlung, 1912/13. Maud schuftet unter Lebensgefahr in einer Wäscherei, rackert sich mehr ab als Männer und bekommt dafür weniger Lohn die. Ihr Boss (Geoff Bell) sieht in ihr nichts als eine Sklavin, die ihm auch sexuell zu dienen hat. Ehemann Sonny (Ben Wishaw) ist zwar durchaus fürsorglich, sieht es aber, der Zeit entsprechend, als völlig normal an, dass ihm ihr Lohn zusteht, die Sorge um den kleinen Sohn seine Sache ist. Polizeioffizier Steed (Brendan Gleeson) fasst Mauds Situation und die von Tausenden anderen Frauen einmal treffend so zusammen: „Du bist ein Niemand.

Dieser Gesetzeshüter, der mit brutaler Gewalt gegen Maud und ihre Mitstreiterinnen vorgeht, ist die interessanteste Figur des Films. An ihm ließe sich zeigen, welcher Ungeist eine geistlose Gesellschaft bestimmt. Doch der Film behandelt ihn als Randfigur und verschenkt damit viel Potential. Und Maud? Es ist mehr Zufall, dass sie sich den Frauen anschließt, die schon seit Jahren mit Demonstrationen und öffentlichen Kundgebungen für die Gleichberechtigung kämpfen, den Suffragetten. Die Bezeichnung, damals ein Schimpf- und Spottwort, hat die Presse erfunden, Pate stand der Begriff, „Suffrage“, „Wahlrecht“. Zur Zeit der Filmhandlung gelten sie als Staatsfeinde. Denn ihre Anführerin Emmeline Pankhurst (Meryl Streep) hat sich gerade dazu durchgerungen, den bisher nutzlosen friedlichen Kampf, Kundgebungen oder das Drucken von Pamphleten, aufzugeben, und auf Gewalt zu setzen. Steine fliegen, Briefkästen detonieren, die Villa eines Ministers wird in die Luft gejagt. Maud, erschüttert auch dadurch, dass ihr Chef eine junge Arbeitskollegin permanent vergewaltigt, entrüstet wegen der schlechten Arbeitsbedingungen, wird zur engagierten Kämpferin an der Seite von Kolleginnen wie Violet (Anne-Marie Duff) und Freundinnen wie der die Apotheke ihres Mannes führenden Edith (Helena Bonham Carter). Doch der Preis, den sie zahlen muss ist hoch. Sie wird aus der Gesellschaft ausgestoßen, wird mehrfach ins Gefängnis geworfen, verliert Mann und Sohn. Doch Carey Mulligan darf unter Tränen lachen und kampfbereit in die Zukunft blicken …

Die Geschichte um Maud ist durchaus glaubhaft. Sie darf als typisch durchgehen. Die Spiegelung realer Ereignisse wirkt da beinahe störend. Da ist beispielsweise der Tod von Emily Wilding Davison (Natalie Press). Tatsache: Sie geriet im Sommer 1913 beim English Derby von Epsom unter das Pferd des Königs und starb an ihren Verletzungen. Ob es ein Unfall oder ein gezielter Suizid war, kann nur spekuliert werden. Der Film erzählt es so, als habe sie mit ihrem Freitod ein Zeichen wider die Unterdrückung der Frauen setzen wollen. Damit wir ihr Ruf als Märtyrerin der Frauenrechtsbewegung kräftig unterstützt. Historische Wochenschauaufnahmen vom Trauerzug durch London markieren denn auch den Höhepunkt des Films. Da wird Mauds Geschichte plötzlich ganz klein. Dramaturgisch stimmt die Gewichtung absolut nicht.

Auf der Habenseite: die Präsenz der Schauspielerinnen, allen voran Carey Mulligan. Ihr Porträt besticht mit Kraft und Glaubwürdigkeit. Allerdings zeigen Drehbuch und Regie sie zu oft in tränenseligen Momenten. Da wabert zu viel Kitsch, gegen den die feinsinnige Darstellung von Carey Mulligan nicht ankommt. Zudem stört die simple Dramaturgie mit Fortgang des Geschehens immer mehr: hier die stolzen Frauen, dort die bösen Männer. Das wirkt arg schematisch. Und wenn dann Meryl Streep einen Kurzauftritt als Emmeline Pankhurst absolviert, stellt sich gar unfreiwillige Komik ein, denn es wirkt, als wäre der Hollywood-Star gerade einem Wachsfigurenkabinett entstiegen. Das ist sehr ärgerlich. Denn bei aller Widersprüchlichkeit der Figur verdanken die Feministinnen dieser Frau ungemein viel.

Besonders problematisch: Wir sehen den Film heute, also in einer unruhigen Zeit, die weltweit von den Schrecken des Terrorismus’ geprägt ist. Heutzutage hat Emmeline Pankhursts Schlachtruf: „Niemals aufgeben. Niemals aufhören zu kämpfen.“, einen bitteren Beigeschmack. Es fehlt an Einordnung und auch an kritischer Distanz. So, wie hier gezeigt, wird jedwede Gewalt legitimiert. Der Film sagt: es ist absolut richtig, zum Erreichen seiner Ziele auch brutal vorzugehen, gar den eigenen Tod oder den anderer in Kauf zu nehmen. Damit nimmt er, wiewohl es um ganz anderes geht, die Position der Terroristen ein. Sie werfen Bomben oder sprengen sich selbst in die Luft, weil sie sich im Recht wähnen,weil sie ihren Kampf um die von ihnen gewünschte Weltordnung für richtig und notwendig halten. Der Film will den frühen Frauenrechtlerinnen ein – verdientes! – Denkmal setzen. Das geht ziemlich schief, leider.

Peter Claus

Bilder © Concorde Filmverleih

Suffragette – Taten statt Worte, von Sarah Gavron    (Großbritannien 2015)