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Cover © Beck Verlag

Ein Klassiker – mit kleinen Lücken

 

Ulrich Herberts vor 20 Jahren erstmals veröffentlichte, maßstabsetzende Biographie über den SS-Mann Werner Best liegt in einer neuen Auflage vor. Doch das private Leben Bests liegt weiter im Dunkeln

„Dieses Buch ist ein großer Wurf“ schrieb vor nunmehr zwanzig Jahren die FAZ über Ulrich Herberts „Best“. Sie verteilte gleich im ersten Satz ihrer Rezension die Bestnote an ein voluminöses Buch über Reinhard Heydrichs zeitweiligen Stellvertreter Werner Best. Es eröffne „neue und doch ganz naheliegende Zugänge“ zum Verständnis von Dritten Reich und SS. Um keinen Zweifel zu lassen: Das Lob gilt auch nach der Veröffentlichung der nunmehr 6. Auflage der Biographie. Das Best-Buch ist ein Klassiker, es setzt Maßstäbe und es ist gut, dass der Beck-Verlag es wieder verfügbar gemacht hat. Allerdings gilt die Anerkennung nicht ganz so uneingeschränkt, wie der FAZ-Rezensent Anselm Doering-Manteuffel oder der ehemalige HR-Chefredakteur Wilhelm von Sternburg („Ein Meisterwerk“) damals glauben machen wollten.

Die FAZ baute einem naheliegenden Einwand gleich im zweiten Absatz vor: „Herbert hat keine Biographie im engeren Sinne geschrieben. Die Familie und das private Umfeld kommen ganz zu Recht nicht vor.“ Auf die banale Frage: Warum eigentlich nicht? liefert das Buch im Untertitel eine erste Antwort. Der in Freiburg lehrende Historiker Ulrich Herbert will bei seiner Beschäftigung mit dem Juristen Werner Best „Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903 – 1989“ anstellen. Der leicht sperrige Satz macht deutlich: Hier soll Zeit anhand einer Personengeschichte erzählt werden. Die Lebensdaten des Werner Best bilden den Rahmen für die zentralen deutschen Themen des schwarzen 20. Jahrhunderts: Nationalsozialismus, Totalitarismus, Holocaust oder ganz allgemein gesagt: für das Umschlagen von Aufklärung in Nihilismus und Krieg.

Aber muss dieser universale Erklärungsanspruch auch den Verzicht auf biographische Details, Lebensumstände und Widersprüche zwischen Ideologie und Alltagspraxis bedeuten? Genau aber das tut Herbert. Er schildert Best als einen bürgerlichen deutschen Akademiker, bei dem sich eisiger Juristenverstand mit „heroischem Realismus“ paarten. Best war intellektuell in der Lage, bereits als junger Mann in den „Boxheimer Dokumenten“ das Organisationsmodell für einen reibungslosen Übergang von einer demokratischen in eine totalitäre Verwaltung zu entwerfen. Dieses noch zu Weimarer Zeiten skizzierte Modell sollte zur flexibel gehandhabten Richtschnur für sein Handeln während der NS-Zeit werden. Sei es als Chef der deutschen Zivilverwaltung im besetzten Frankreich, sei es als NS-Besatzungsgouverneur in Dänemark. Das eine Mal hieß es Aufsichtsverwaltung und bedeutete unter anderem die Wiederbewaffnung der (kolloborationsbereiten) französischen Gendarmerie; in Skandinavien hieß es dann Bündnisverwaltung und schloss Folketing-Wahlen mitten im Krieg nicht aus. Diese Fähigkeit zur Anpassung an äußere Umstände zeichnete Best aus. Sie geschah nicht etwa aus Menschenfreundlichkeit oder Schwäche, sondern war getragen von bürokratischem Effizienzdenken. Dahinter stand die Idee: Der deutsche Einsatz soll möglichst niedrig bleiben, alle Kräfte müssen für die Ost-Front gebündelt werden. Eine zynische Logik, mit der die SS auch die großen Vernichtungslager in Polen betrieben hat. Bei der „Judenfrage“ war sich Best übrigens mit Himmler und Heydrich – trotz zeitweiliger Spannungen – immer einig.

Indes – Best erscheint bei Ulrich Herbert über weite Passagen als Mann ohne Unterleib. Man würde gern über dürre biographische Eckdaten hinaus wissen, wie der ranghohe „Beamtengeneral“ im besetzten Paris gelebt hat. In soldatischer Askese und beamtenhafter Tugend? In völliger Isolierung von seiner nächsten Umgebung? Das käme einem Wunder gleich. Wo doch der deutsche Botschafter Abetz wie ein Renaissancefürst lebte, wo die deutschen Offiziere das Nachtleben der Hauptstadt in vollen Zügen genossen und opulente Empfänge an der Tagesordnung waren. Zur „Lichtstadt Paris“ habe er „nie ein inneres Verhältnis gefunden“, schrieb Best rückblickend. Es bleibt dennoch ein Rest von Dunkelheit, ob diese Aura der Unbestechlichkeit, die vom Schreibtischtäter Best ausging, Wirklichkeit oder zuweilen auch trügerischer Schein war.

Wie wichtig gesicherte bürgerliche Lebensumstände für Best waren, wird in der Nachkriegszeit offenbar. Nach der Haftentlassung in Dänemark bietet ihm der Ruhr-Magnat Hugo Stinnes jr. eine Stellung als Syndikus in seinem Firmenkonglomerat an und Best nimmt ohne langes Zögern die Stellung in Mülheim an. Aber war es bloß eine Deckadresse, ein Auffangbecken oder hat Best auch tatsächlich für Stinnes gearbeitet? Klar ist, er benutzte diese Position, um wie „eine Spinne im Netz“ (Berliner Staatsanwaltschaft) die Wiedereingliederung seiner Gestapo-Kollegen in den öffentlichen Dienst zu fördern. Er zimmerte ein Gebäude aus Entlastungsaussagen und Verdrängungslügen für sich und die Kameraden zusammen, geriet dabei selbst aber erst spät ins Visier der Ermittler. Der SS-Korpsgeist als Elite des Dritten Reichs muss ihn bis ans Lebensende durchdrungen haben.

An einem Punkt in Herberts Buch wird deutlich, dass Best doch mal schwach war und dringend familiären Zuspruch nötig hatte. Das war 1947 in der Haft im Kopenhagener Hauptgefängnis, als er seinen großen Auftritt bei den Nürnberger Prozessen hinter sich hatte und sein eigener Prozess unheilvoll bevorstand. Da handelt Best in „einer Mischung aus Berechnung und Verzweiflung, aus autoritär-geducktem Gehabe und dominierendem Selbstmitleid“ (Herbert). Melodramatisch schreibt er mit eigenem Blut seiner Frau einen mehrseitigen „Abschiedsbrief“ – und wird prompt von ihr gerüffelt. Seine Frau Hildegard, die mit den fünf Kindern in einem dänischen Internierungslager sitzt, erweist sich in dieser Situation als fanatischer und unbeugsamer als ihr Mann. Sie kritisiert sein Verhalten als „unwürdig“ und „schwächlich“. Diese Kritik bleibt nicht ohne Wirkung. Best kommt wieder in die Spur, gelobt Besserung und hält sich auch dran.

In diesem Abschnitt wird Herberts Buch ungewohnt psychologisch, was natürlich mit einer wohl besonders ergiebigen Quellenlage zu tun hat. In den dänischen Archivunterlagen ist sogar ein medizinisches Gutachten des Gefängnisarztes erhalten, der den Häftling zusammenfassend als „konstitutionellen Psychopathen“ bezeichnet. Best lehnte diese Diagnose selbstredend rundweg ab. Der Arzt habe in seiner beschränkten dänischen Mentalität den „strengen Pflichtbegriff des preußisch-deutschen Berufsbeamtentum“ nicht begreifen können.

So erhellend diese Auskünfte zur inneren Verfassung Bests sind, sie sind eine Ausnahme. Wie sich die Bindung an Ehefrau und Kinder entwickelt hat, bleibt unbekannt. So wie sich Best einer Befragung durch Forscher Herbert bis zu seinem Tod erfolgreich entzogen hat, wird mutmaßlich auch seine Familie zu keinem Interview bereit gewesen sein.

Die Leerstelle, die Herberts ansonsten so kenntnisreiches Buch gelassen hat, füllte 2006 ein Schriftsteller phantasiereich aus. Die Rede ist von Jonathan Littell. In seinen „Wohlgesinnten“ lässt er Werner Best kurz auftreten und bedient sich bei der Schilderung seiner Hauptfigur Max von Aue bei manchen Elementen der Best-Biographie, des belgischen SS-Führers Léon Degrelle sowie bei den „soldatischen Männern“, wie sie Theweleit in seinen „Männerphantasien“ skizziert hat. Ulrich Herbert geht in seinem aktualisierten Vorwort zur neuen Auflage auf diese posthume literarische Karriere des Werner Best auch ein. Ziemlich indigniert. Offenbar glaube Littell, ein Tabu zerstört zu haben, weil er die Organisatoren und Konzepteure des Holocaust als intelligente Personen darstellte. Der SS-Mann von Aue erscheint in den „Wohlgesinnten“ nicht mehr als primitives Monster, ist aber hinter einer Schicht schöngeistiger Bildung von Perversionen und Gewaltphantasien beherrscht. Eine neue, alte Spielart des „Sadico-Nacista“, kann man ergänzend zu Herbert sagen. Der schließt seine Beschäftigung mit Littell mit dem Satz: „Das ist aber wohl doch ein allzu beruhigender Gedanke, weil er zurückführt in die Residualkategorien des Abnormen, wo die SS seit jeher geortet wurde.“

Umgekehrt geht Herbert vor: Er bewahrt Werner Best vor den Tiefen der klinischen Perversion und begleitet ihn auf die Höhen eines fehlgeleiteten, rationalistischen Intellekts. Dabei erscheint Best als ein Spitzenvertreter der nazistischen „Generation der Unbedingten“ als eine noch viel beunruhigendere Figur. Männer wie er funktionierten, wenn sie denn Krieg und Nachkriegs-Prozesse relativ unbeschadet überstanden hatten, auch unter den neuen, demokratisch-bürokratischen gewendeten Vorzeichen. Sie mussten nichts bereuen. Wie Best, der sich bis in den Tod treu geblieben zu sein scheint.

Michael André

 

Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903 – 1989.

C.H. Beck Verlag, 2016 (6. Auflage mit erweiterten und aktualisierten Einleitung – die ersten fünf Auflagen waren beim J.H.W. Dietz Verlag erschienen)

710 Seiten Hardcover

39,95 Euro

ISBN 978 3 406 68859 1