Das Festival der blauen Herzen 2011 hat begonnen

Der frühe Montagabend gehört auch im beschaulich anmutenden Saarbrücken den Demonstranten. „Weg mit Hartz IV“ fordern die einen, „Ausstieg aus der Atomkraft“ die anderen. In beiden Fällen ist die Zahl der Montagsdemonstranten überschaubar. Die Passanten in der allein Fußgängern vorbehaltenen Einkaufsstraße eilen meist achtlos an den Gruppen vorbei. Nur die Aufmerksamkeit der Polizei wirkt stetig. Immer wieder rollen Autos der Gesetzeshüter über den Asphalt, mal vor den Gruppen, mal dahinter. Später fallen auch einige Luxuslimousinen im Stadtbild auf. Sie bringen Ehrengäste zur Eröffnung der 32. Ausgabe des Festivals der blauen Herzen ins moderne Multiplexkino am Rande der Innenstadt. Dies beobachtend, beschleicht einen Beklemmung auf dem Weg zur Eröffnung des diesjährigen Filmfestivals um den Max Ophüls Preis von Saarbrücken, die wichtigste Tribüne des deutschsprachigen Films, die seit Jahren leuchtende blauen Herzen als Symbol hat. Flimmert das Festival an der Realität vorbei?

Im Mittelpunkt des Eröffnungsabends jedenfalls steht ein Dokumentarfilm, der ein Luxusproblemchen behandelt. Das Festival eröffnet mit dem schweizer Essay „Bad Boy Kummer“ des Journalisten und Filmemachers Miklós Gimes. Der Film verfolgt den Lebensweg von Tom Kummer nach seiner Karriere. Die hatte ihn ganz hoch geführt und sehr tief fallen lassen: Kummer war jener Schreiber, der vor Jahren in Deutschland und in der Schweiz Riesenerfolg mit Star-Interviews hatte – mit Sharon Stone, Sean Penn, Nicholas Cage beispielsweise –, die durchweg erfunden waren. Ja, der Film weist mit warnendem Finger auf Auswüchse in den Medien, auf die Dummheit der ungebändigten Profitgier von Herausgebern, auch darauf, wie Journalisten unter dem Erfolgsdruck zu Übeltätern und schon damit zu Verlierern werden. Doch angesichts dessen, was derzeit vor allem in der bürgerlichen Welt an Problemen zum Himmel stinkt, mutet das allenfalls abstrus und kurios an. Wichtig ist es nicht.

Steht also die Hoffnung an, dass die nächsten Tage des Festivals von Gewichtigerem geprägt werden. Die Erfahrungen der letzten Jahre, da die künstlerischen Leiter Gabriela Bandel und Philipp Bräuer vor allem starke, engagierte, gesellschaftskritische Filme präsentierten, gibt der Hoffnung Nahrung. Ein erster Blick in den Katalog weist immerhin auf eine kluge Entscheidung: Zwar ist das Rahmenprogramm mit x-Offerten nach wie vor zu groß, doch zeigt der Spielfilm-Wettbewerb, das Herzstück des Festivals, kluge Bescheidenheit: 17 Filme, davon erstaunlicherweise gleich fünf aus der Schweiz, hat die Jury zu beurteilen. Für knapp fünf Festivaltage ist das absolut ausreichend. So hat jeder Film dieses Wettbewerbs die Chance, vom Publikum wahrgenommen zu werden – und die Nachwuchsfilmemacher haben damit die Aussicht, auch von Profis der Verleih- und Produzenten-Szene Aufmerksamkeit zu erhalten. Der Themenkreis – so lassen die Ankündigungen vermuten – reicht wieder von Coming-of-Age-Storys bis zu harten Sozialdramen. So besteht berechtigte Annahme, dass der Spielfilmwettbewerb mit seinen Filmen hart in die Realität hinein geht.

Text: Peter Claus

Bad Boy Kummer (Dokumentarfilm, Schweiz/Deutschland 2010)

Regie: Miklós Gimes