Die Kraft der Toten

Ausgerechnet. Es gibt kein anderes historisches Ereignis, das von den Nachgeborenen ein solches Maß an Respekt und Demut einfordert. Und deshalb gibt es auch nichts Vergleichbares, das eine solche moralische Unangreifbarkeit in sich selbst benötigt als eine Art Schutzschild gegenüber den Anwürfen derer, die diesen Respekt und diese Demut verweigern. Dieser Schutzschild wurde jetzt beschädigt.
Dieses Gaunertum, gewissenlos, hemmungslos, verantwortungslos, beschmutzt in gewisser Weise sogar die tatsächlichen Opfer, obgleich die im Namen Deutschlands beschmutzt wurden auf singuläre Weise. Denn in der öffentlichen Wahrnehmung wird mancher der Überlebenden, laut oder leise, die zutiefst beleidigende Frage auszuhalten haben, ob er nicht schließlich auch nur ein kleiner Geschäftemacher sei.

Das zynische Wort von der Holocaust-Industrie wird wieder Konjunktur haben. Denn der Umgang mit diesem deutschen Erbe ist immer wieder ein Thema, nicht nur unter Rechtsradikalen. Es gibt einen Trend zur entspannten Leichthändigkeit, einen Trend, die Freiheit von individueller Schuld zu übersetzen in eine Freiheit von historischer Verantwortung.

Die Historisierung des Holocaust wird nicht aufzuhalten sein, irgendwann einmal wird man das betrachten, wie wir die Hexenprozesse betrachten. Aber so lang es noch Überlebende gibt, ihre Kinder und Kindeskinder, haben wir kein Recht auf diese Betrachtungsweise.

Diese Millionenbetrüger sind Gauner der gewissenlosesten Art. Es steht nirgendwo geschrieben, dass einer kein Gauner sein kann, nur weil er ein Jude ist. Doch wir dürfen den Betrügern nicht mehr moralische Prägekraft zubilligen als sechs Millionen Toten.

Text: Henryk Goldberg