In einem kurzen Filmausschnitt war ein entspannt monologisierender Thomas Bernhard zu sehen, der behauptete, wenn ihm fad oder gar tragisch zumute sei, dann schlage er ein eigenes Buch von sich auf und fange an zu lesen: „Das bringt mich am ehesten zum Lachen.“ Komisch, fügte er hinzu, seien vor allem diejenigen, die es so schrecklich ernst meinten. Der Kant, der Schopenhauer, solche Leute. Über deren grandiosen Ernst konnte er lachen. Tatsächlich wurde auch gestern Abend im Deutschen Theater in Berlin viel gelacht, wo die Schauspieler Ulrich Matthes und Burghart Klaußner aus Bernhards sogenannten „autobiographischen“ Schriften lasen – Auszüge aus „Die Ursache“ (Matthes) und „Die Kälte“ (Klaußner)

Es war ein literarisches Hineinfeiern in den Geburtstag und ins Bernhardgedenken: Der viel zu früh Gestorbene wäre 80 Jahre alt geworden, befände sich also im besten Schriftstelleralter.

So sehr man sich auch hüten sollte, die Auskünfte über eine Salzburger Kriegskindheit mit Luftschutzstollen, Bombardements und Geigespiel in der Schuhkammer der Erziehungsanstalt und die Monate in einer Lungenklinik mit seltsamen medizinischen Brachialmethoden allzu direkt für bare autobiographische Münze zu nehmen, „komisch“ ist das Erzählte nur bedingt oder eben nur so, dass man nie recht weiß, ob das unvermeidbare Lachen angesichts der geschilderten Zustände angebracht ist. „Die Ursache“ beginnt so, wie man Bernhard kennt: mit endlosen Satztiraden, Salzburgbeschimpfungen und Österreichhasspredigten. Aber das ist nur der erste Eindruck, als habe Bernhard eine dichte Hecke vor die Tür pflanzen wollen, um damit den Eingang zu verbergen. Er bedient erst einmal das Bernhard-Klischee (in einer Sprache übrigens, die heute nur noch manieriert und wichtigtuerisch klingt), bevor er sich an sich selbst und die eigene Geschichte herantraut. Da kommt dann ein anderer, verletzter, überhaupt nicht mehr großsprecherischer, ja manchmal mit Worten geradezu sparsamer Mensch zum Vorschein. Und je konkreter die Erzählung wird, je näher er uns heranlässt an die „Selbstmordgedankenwelt“ seiner Kindheit, umso knapper und präziser werden die Sätze, umso schmerzhafter wird die entsetzliche Verlorenheit dieser frühen Jahre spürbar.

Ein Sisyphos sei Thomas Bernhard gewesen, meinte Burghart Klaußner in der anschließenden Gesprächsrunde, ein unermüdlicher Steinewälzer, einer, der das Leiden und die Komik unablässig wiederholte, weil er in der Sinnlosigkeit den Sinn erkannte. Man müsse ihn nicht nur lesen, sondern hören, sagte er, was nach der fulminanten Lesung naturgemäß eine Binsenweisheit war. Das galt auch für Ulrich Matthes’ Bemerkung, diese Prosa sei eine Partitur, das Lesen also ein Musizieren. Matthes ist dabei der genauere Interpret, der die Syntax noch der verschlungensten Satzlabyrinthe transparent zu machen versteht. Klaußner ist der theatralischere Sprecher, der den Text stärker inszeniert. Beide Darstellungsweisen waren überwältigend großartig, zwangen die Zuhörer in den nicht unsperrigen Text hinein und ließen sie nicht wieder los. Nachhörbar ist ihre jeweilige Bernhard-Lesart in einer CD-Box des DAV mit der Gesamteinspielung der „Autobiographischen Schriften“, wo zudem noch Gert Voss, Peter Simonischek und Wolfram Berger als Bernhardleser zu entdecken sind.

Text: Jörg Magenau

Text erschienen in Börsenblatt.net, 09.02.2011




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