Lieder fürs Herz
Michaela Meise singt Liebeslieder aus drei Jahrhunderten

„Jeder von uns ist ein Schäflein in Gottes Rudel.“
Emily Baldwin in „Die Waltons“, Folge 160 („Der schöne Traum“)

Der Wiedehopf, der Wiedehopf, / Der schenkt der Braut `nen Blumentopf“, heißt es in „Die Vogelhochzeit“, und ein paar Fiderallala später: „Die Meise, die Meise, / Die singt das Kyrieleise.“

Das Kyrie ist zwar nicht mit drauf, aber Michaela Meise, Kunstprofessorin aus Berlin, singt auf ihrem Soloalbum „Preis dem Todesüberwinder“ tatsächlich nichts als Kirchenlieder. 33 Minuten lang geht`s um Gott und wie er – durch die Augen seiner Minnesänger – die Welt sah. Meise covert Evergreens aus drei Jahrhunderten, die man als Kirchgänger aus dem „Canta Bona“ kennt – so nannten wir im Bistum Hildesheim unser Gesangbuch, bis 1975 das „Gotteslob“ aufkam.

Warum tut sie das? Hat die Chanteuse „eine gewaltige Gottesmeise“, wie sich Thomas Blum, betört von der Platte, in „konkret“ fragte? Oder steckt eine Vollmeise dahinter?

„Tür auf, Tür zu“ von Michaela Meise (courtesy Johann König, Berlin)

Das Rätsel ist inzwischen gelöst, dank eines Interviews, das Michaela Meise der Zeitschrift „Spex“ gewährte: Die Künstlerin ist römisch-katholisch, wenn auch bereits einmal aus- und wieder eingetreten. Sie selbst schätzt den Verein, den sie mit ihrer Mitgliedschaft schmückt, als „homophob und antisemitisch“ ein, was ihn, fügt man noch das Attribut „schamlos“ hinzu, wohl erschöpfend beschreibt.

Preis dem Todesüberwinder“ enthält sieben – zuweilen sehr amüsante – Kirchenlieder aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Davon knapp die Hälfte Liebeslieder, an den Herrn und Heiland adressiert. „Nimm hin mein Herz, Herr Jesu Christ, / Dein Herz für mich durchstochen ist“, singt sie, und: „Jesu mein, / Komm herein, / Leucht’ in meines Herzens Schrein.“ Mit Angelus Silesius` „Morgenstern“, dem Rausschmeißer der Platte, hat Michaela Meise sich geflissentlich eine der schönsten Schöpfungen der Musikgeschichte gegriffen, ein Lied, das mich entfernt an die Gesänge der Augsburger Puppenkiste erinnert. Genauer: an das Walroß aus „Urmel aus dem Eis“, an den einsamen – in seiner Klausur gleichermaßen geborgenen wie verlorenen – Gesang, der von den Eisschollen auf die Insel der Seligen, nach Titiwu weht.

Man kann nichts machen – die Meise-Platte greift einem mitten ins Herz. Seien es die Lovesongs wie „Schönster Herr Jesus“ oder eben „Morgenstern“, sei es das Frühlingslied „Die ganze Welt“, das (vielen auch als Kanon bekannt) auf meiner Ohrwurmskala neuerdings zwischen „Mamy Blue“ und „Die Gefühle haben Schweigepflicht“ pendelt.

Woran das liegt? Vermutlich daran, daß das alles ganz schlicht – oder soll man sagen: gläubig – daherkommt, ohne Ironie oder Pathos. Das Ergebnis ist denkbar weit von den Niederungen des Sakropop entfernt, dafür interpretiert Meise das an sich schon kuriose Material allzu ehrfürchtig. „Böseufzen“, singt sie, wo der Dichter das schöne Wort „beseuftzen“ hingeschrieben hat, auch vernuschelt sie einiges (das entspricht im übrigen der Eigenart des fragwürdigen Begleitinstruments), aber selbst das – wenngleich es das Ergebnis ins leicht Unklare, Wischiwaschiartige zieht – ist eigenartig und schön.

Und damit zur Kehrseite der Medaille. Die Stelle der Orgel, von Psalter und Harfe vertritt ein Instrument, das seinen Namen redlich verdient: die Quetschkommode. Eine Apparatur, mit der man mich um die halbe Welt jagen kann.

Betriebsfeier mit Quetschkommode (BRD, fünfziger Jahre)

Der Grund: Mein Vater liebte es, nach Einbruch der Dunkelheit über sein Schifferklavier herzufallen. Dabei kamen ihm zwischen Volks- und Wanderliedern auch Kirchenlieder unter, und seine Schunkelfassung von „Meerstern, ich dich grüße!“ tönt mir noch heute im Ohr. Wenn er in Fahrt kam – zwischendurch genehmigte er sich gern ein Gläschen „Kellergeister“ – fiel oft unser Wellensittich mit ein, der den Vortrag laut kreischend begleitete. Dazu gönnte sich mein Vater gern ein Fußbad, was die Sache nicht bessermachte.

Daß „Preis dem Todesüberwinder“ mich mit der Quetschkommode versöhnt, mag daran liegen, daß Meise sie wie „des Teufels Dudelsack“ bedient – so nennt der Presbyterianer laut Achim von Arnim die Kirchenorgel. Meise greift die Töne mit voller, ahnungsvoller Andacht, und manchmal zischt – zumindest für meine Ohren – ein Hauch Anton LaVey aus den Bälgen. Was mir Gelegenheit gibt, freundlichst auf diesen Ahnherren moderner Sakralmusik hinzuweisen, dem wir die wohl beste Coverversion des Stan & Olli-Hits „Honolulu Baby“ verdanken.

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Wühlte gern in den Tasten seiner Heimorgel: Anton Szandor LaVey († 1997), Gründer der Church Of Satan

Sieben Lieder aus drei Jahrhunderten, da fällt die Auswahl schwer, und sie ist, wie gesagt, gelungen. Dennoch vermisse ich – das geht wohl nicht anders, wenn man auf Kirchenlieder steht – dies und das. Wo bleibt die „Wunderschön prächtige“? Wo „Meerstern, ich Dich grüße!“, das Wallfahrtslied aus dem Sauerland, das vom Zuschnitt freilich eher zu Joan Baez paßt? Wo „O Heiland, reiß die Himmel auf“ mit seinen kräftigen, sportlichen Bildern? „O Erd‘, herfür dies Blümlein bring, / O Heiland, aus der Erden spring“ heißt es dort, und: „Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, / Reiß ab, wo Schloß und Riegel für!“ Wobei man Strophen, die heute allzu krude und völkisch daherkommen – Zeilen wie „Ach, komm, führ` uns mit starker Hand / Vom Elend zu dem Vaterland“ –, einfach hätte weglassen können.

Wo bleibt „Thauet, Himmel, den Gerechten“, das „In-A-Gadda-Da-Vida“ deutscher Kirchenmusik? Das zwar, wie zwei der drei ebengenannten, im Stammteil des „Gotteslob“ nicht auftaucht, sich aber im Anhang einiger Diözesanausgaben findet: ein Kracher aus dem 18. Jahrhundert, der mit dem Notruf „Thauet, Himmel den Gerechten! / Wolken! regnet ihn herab!“ anhebt und in dem – heute wieder hochaktuell – Nachtmütter, Lichtwaffen und Fleischhüllen vorkommen. Und wo, bitte, bleibt „O Ewigkeit, du Donnerwort“? Der Hit des Jahres 1642, den ich auf „Preis dem Todesüberwinder“ vergeblich suche, obgleich er auf einer Auswahl mit geistlichen Liedern bei Gott nichts verloren hat. Denn er kommt aus der – igitt! – evangelischen Ecke. (Mit den zahllosen „Donnerwort“-Strophen hätte Frau Meise eine ganze, dritte Plattenseite vollmachen können.)

Daß mir das „Donnerwort“ so lieb ist, hat mit Karl May zu tun. Jeder, der in seiner Kindheit „Old Surehand“ gelesen hat, weiß, was ich meine. Ich zitiere – weil es nichts besser macht, alles immer neu und anders zu formulieren – aus meinem Buch „Der Bulldozer Gottes“, und zwar die Passage, in der es um Old Wabbles letzte Reise geht:

Am Ende der „Old Surehand“-Trilogie wird Old Wabble, ein eingefleischter Gottesleugner, von Utah-Indianern mit dem Unterleib – quer zum Baum, damit sich die erwünschte Kreuzform ergibt – in eine Fichte hineingeschoben, „welche die Stärke eines achtjährigen Kindes“ besitzt und „in Schulterhöhe gespalten“ ist. Während dem „König der Cowboys“ langsam die Geschlechtswerkzeuge zerquetscht werden, findet der alte Sünder heim zu Gott. Als Beichtvater hat sich rechtzeitig Old Shatterhand eingefunden. Unter Heulen und Zähneklappern wird das Kirchenlied „O Ewigkeit, du Donnerwort“ deklamiert und der steinalte Trapper mit dem schlohweißem Haar, der optisch an die Bluesrocklegende Johnny Winter erinnert, darf in Frieden scheiden.

Bekehrung durch Eierzerquetschen: das ist das hehre Thema des dritten „Old Surehand“-Bandes, und Old Wabble ist nicht der einzige Bösewicht, dem im Laufe der Story der Genitalapparat, wie May schreibt, „zu Mus zermalmt“ wird. Und die Kirche, in diesem Fall die evangelische, liefert das Libretto dazu. „O Ewigkeit, du Donnerwort, / O Schwert, das durch die Seele bohrt“, beginnt der fast vergessene, unter Klassik-Freunden durch eine Bach-Bearbeitung noch lebendige erste Gesang, um mit „Mein ganz erschrocknes Herz erbebt, / Daß mir die Zung am Gaumen klebt“ zu enden.

Michaela Meise hat sich weniger für das Splattrige und Pomphafte als für das Hingegossene, das Blühende, leicht Schauerromantische entschieden. Und so fühlt man sich – hört man die Platte am Stück, womöglich mehrmals hintereinander – nicht nur tief berührt (man sieht, meine Wortwahl ist bereits vom kommenden Kirchentag beeinflußt), sondern auch angenehm durchbohrt.

Doch Obacht. Wer nun, angefixt durch das Hörerlebnis, alle Vorbehalte über Bord schmeißen und in Meises Verein mittun möchte, wird sich dort womöglich schwer blamieren, zumindest am Anfang. Wie schreibt Franz Werfel im „Lied von Bernadette“? „Auch die Glaubenskunst muß man gewiß lernen und üben und üben und lernen wie die Gesangskunst …“

Ein wahres Wort, das nicht dadurch obsolet wird, daß der Dichter es einem toten Teenager in den Mund legt. Und das nicht nur für Neulinge, sondern auch für Singvögel gilt, selbst für so illustre wie den Spatz von Avignon, die italienische Nachtigall oder eben Michaela Meise. Und so darf es nicht wundernehmen, daß den zwei Tagen im Aufnahmestudio, denen wir diese außerordentliche Schallplatte verdanken, „eineinhalb Jahre Üben und Singen“ vorausgegangen sind, wie Meise in einem Interview erzählt.

Dabei ist das viele Singen, sofern es um Kirchenlieder geht, ungefähr so töricht wie das viele Beten. „Wer zu viel betet, der betet sich durch`n Himmel durch; und muß dann, auf der andern Seite, die Gänse hütn“, behauptet die fünfzehnjährige Martina in Arno Schmidts „Abend mit Goldrand“. Dagegen steht: „Wenn man gebetet hat, schmeckt einem auch das Essen besser.“ Das bezeugt Schwester Beata, die Heldin des gleichnamigen Klosterromans von Hermann Skolaster.

Bevor Sie nun losrennen und sich die LP kaufen, noch ein Rat. Falls Sie vom vielen Meise-Hören rammdösig oder schwermütig werden (letzteres kann leicht passieren, wenn man den Klang der getragenen Quetschkommode nicht verträgt), empfehle ich Ihnen zur Erholung die Kirmesmusikanten. Die sind, wie das Meiste aus Holland, musikalisch kaum auszuhalten, aber optisch ´ne Wucht.

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Klassiker der Akkordeon-Musik: Die Kirmesmusikanten

Als Buch zur Platte schlage ich hingegen Franz Werfel, „Der veruntreute Himmel“, vor. Und natürlich „Old Surehand III“.

Wenzel Storch

Michaela Meise: „Preis dem Todesüberwinder“
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