Der Geruch der Sixtinischen Kapelle

„Du weißt“, sagt Sean McGuire, der Therapeut, zu Will Hunting, dem Genie, „alles über Michelangelo und die Renaissance. Aber ich wette, du weiß nicht, wie die Sixtinische Kapelle riecht“. Damit hat der kluge Robin Williams etwas wesentliches über dieses junge störrische Genie gesagt. Und da dieses junge störrische Genie von Matt Damon gespielt wird, der zugleich, mit Ben Affleck, Good Will Hunting schrieb, hat Robin Williams auch etwas wesentliches über Good Will Hunting gesagt: Dieser Film weiß sehr viel darüber, wie man eine Story entwickelt und Figuren und wie ein guter Satz zu klingen hat. Aber es weiß nicht viel darüber, wie Menschen riechen. Ausgenommen Robin Williams natürlich, der weiß alles über Menschen und über die Schauspielerei wohl auch. Amerika wird diesen Film lieben, weil es Geschichten liebt, wie die seiner Entstehung. Und der Betrachter krümmt sich ein wenig bei der Vorstellung, er könne, was er doch möchte, diesen Film Lebensferne vorwerfen oder Oberflächlichkeit. Denn wie er entstand und wie die eben noch namen- wie arbeitslosen armen Schauspieler-Schweine Matt Damon und Ben Affleck auf dem Wege sind, Hollywoods Heroen zu werden, das ist auch eine durchaus lebensferne und oberflächliche Geschichte, aber sie ist passiert. Denn die beiden Schauspieler wollten, wie Tausende, einen Job und sie bekamen keinen, wie Tausende. Da haben sie sich halt selbst ein Buch geschrieben und verkauften es nur unter der Maßgabe ihrer eigenen Mitwirkung. Nun hat Good Will Hunting einen Golden Globe, einen Silbernen Bären sowie neun (9) Nominierungen für den Oscar und der Verleih wirbt mit der charmanten Zeile „In den USA die Nr. 1 hinter Titanic„. Und wir halten diesen Film kleinlaut für hoch überschätzt und glauben, der Erfolg sei, zu Teilen wenigstens, der traumhaften Geschichte seiner Entstehung geschuldet.

Aber neben der Geschichte von Matt Damon und Ben Affleck gibt es ja noch die von Will Hunting.

Will streift durch die Korridore von Havard, manchmal putzt er den Boden, manchmal schreibt er, anonym, Formeln an die Wand, über denen die Wissenschaftler seit zwei Jahren grübeln. Er improvisiert, in der Kneipe, einen Diskurs über die Geschichte des gesellschaftlichen Denkens – ausgehend von der ökonomischen Krise der Südstaaten zur Zeit der Sezession -, er kennt die Präzedenzurteile der amerikanischen Rechtsgeschichte und er sagt Sätze wie „Diese Symbiose aus Symbolismus und Expressionismus ist ziemlich konfus“. Andererseits haut er einem Burschen, der ihn als Kind einmal verprügelte, schon mal aufs Maul und wenn er einen Kerl fragt „Stehst du auf Pflaumen?“ dann ist das keine Frage, die Eßgewohnheiten beträfe. Will sagen, Will ist ein Genie, das nicht berühmt werden, nur ein Kumpel seiner Kumpels bleiben will. (Was im Übrigen auch verständlich ist, denn seinen Lieblingskumpel spielt sein Lieblingskumpel Ben Affleck und die beiden Jungens habens sich das ausgedacht). Und dann kommt der wunderbare Robin Willams als Therapeut und dann wird alles gut, irgendwie.

Gus Van Sant hat das inszeniert und die Inszenierung scheint besser als das Buch. Doch auch Van Sant kann nicht verbergen, daß die Geschichte glatt und funktional wie vom Reißbrett ist. Denn die Perspektive der Therapie könnte die Aufnahme einer Schlosserlehre so gut sein wie die Entgegennahme des Nobelpreises. Matt Damon ist womöglich ein begabter Schauspieler, aber so wenig Leonardo DiCaprio auf der Titanic ein Maler ist, so wenig ist Damon ein Genie. Die überragenden intellektuellen Fähigkeiten bleiben eine Behauptung, die in der Ausstrahlung des Schauspielers, und in seinem Text, nicht einen Augenblick lang Glaubwürdigkeit gewinnen. Eine mathematisch-kalt konstruierte Geschichte, die sich selbst keinen inneren Widerstand gönnt, keine Reibung, die wirklich zu überwinden wären: Und also weder Höhe noch Tiefe kennt. Talent im Detail, in manchem Satz und ein Robin Williams, der uns das gelegentlich vergessen läßt. Das Problem ist nicht die Entfernung von der Wirklichkeit, sondern die von der eigenen, inneren Glaubwürdigkeit.

Aber irgendwann wissen Matt Damon und Ben Affleck womöglich auch, was Robin Williams lange weiss: Dass und wie Menschen riechen. Schliesslich, der Satz ist von ihnen.

Sie wissen vielleicht nur noch nicht, was er bedeutet.

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben 1997

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine