Die Bilder mit dem grünen Punkt

Die neue Hemmungslosigkeit

Die Menschen haben ein Problem, sie sollen ein wenig vernichtet werden, und der gütige Jude ermuntert sie zum kollektiven Gebet. „Ich bin aber kein Jude“ macht einer der Umstehenden geltend. „Nobody is perfect“ entgegnet der alte Mann. Das hatten wir doch schon? Richtig, Joe E. Brown sagte es zu Jack Lemmon, und es war einer der wunderbarsten Ideen, einen Film zu beenden. Wer am Independence Day zu wem spricht und warum, wird wenig später schon niemand mehr wissen, nichts aus diesem Film wird zitabel sein, da er doch selbst ein einziges Zitat ist. Und niemand wird wirklich wissen, wie es diesen Film gelang, sich auf Jahre hinaus in den ewigen Top Ten der besten Einspielergebnisse zu behaupten. Das ist sein Geheimnis, sein einziges.

Diesen amerikanischsten aller amerikanischen Filme – der Deutsche Roland Emmerich ist so amerikanisch, wie John Wayne es gern gewesen wäre-, kann man sich frohgemut anschauen, der Spaß ist sein Geld wert. Und obschon Millionen Menschen ins grüne Gras beißen, ist er durchaus jugendfrei. Daß ein amerikanischer Verteidigungsminister von einem amerikanischen Präsidenten „ein schleimiges Arschloch“ genannt wird, sollte in diesen geilen Zeiten wohl nicht mehr als jugendgefährdend gelten (sintemalen die Beschreibung präzise ist), daß hingegen ein väterlicher Satz wie „Setz dich nicht auf den Boden, du wirst dich erkälten“ die Errettung der Welt einleitet, wird womöglich das Prädikat „pädagogisch wertvoll“ beanspruchen dürfen. Es ist alles, wie es sein soll, das Popcorn knackt, die Erde bebt, und wir wären durchaus zufrieden, wenn da nicht diese eine, diese einzige Irritation wäre: Dieser Film ist der zweiterfolgreichste aller Zeiten, nur um in den Jurassic Park zu gelangen, hat die Menschheit mehr Geld ausgegeben. Und wir fragen uns, leicht verunsichert, ob das den Film beschreibe oder die Menschheit.

Diese Arbeit von Roland Emmerich, das darf als sicher gelten, wird keinen Platz in der Filmgeschichte besetzen, es sei denn, als der merkwürdigste Erfolg der jüngeren Geschichte. Es sei denn, als der sinnfälligste Beleg des Satzes, daß das Ganze stets mehr sei als die Summe seiner Teile. Denn in Independence Day, einem gigantischen B-Movie, ist nichts Beschreibbares, keines seiner Teile perfekt: Nicht die Technik, nicht die Story und schon gar nicht die Darsteller. Perfekt aber, in sich geschlossen und das Übrige bindend, ist das geistige Management, die konzeptionelle Konsequenz: Keine der großen Super-Produktionen verband sich mit dieser professionellen Hemmungslosigkeit. Hemmungslos im Recyceln der Filmgeschichte – die Mehrheit von Emmerichs Bildern und Motiven dürften, mit Recht, den grünen Punkt tragen: Ich war ein Film. Hemmungslos im fröhlichen Bekenntnis, nicht im Besitz auch nur eines originären Gedanken oder Bildes zu sein. Hemmungslos in der Bereitschaft, politisch korrekt und patriotisch zu sein. Hemmungslos im Verzicht, auch nur eine Absicht zu reklamieren, außer der, einen erfolgreichen Film zu machen. Und da all diese Hemmungslosigkeiten von uninspirierter, jedoch professioneller Sicherheit getragen werden und einem naiven Charme, der sonst nur noch im Comic vorkommt, funktioniert das perfekt. So perfekt, daß wir gar nicht bemerken, wie merkwürdig das ist.

Soviel Chutzpe hat doch heute im Ernst kein Mensch: 1 Jude, 1 Schwarzer, 1 Säufer & 1 Präsident – der zu allem noch der US Air Force als „Eagle One“ vorausfliegt -, retten die Welt. Ab 4. Juli wird zurückgeschossen. New York, Washington, L.A. und noch ein paar belebte Plätze verglühen, es lebten wohl auch Leute dort. Die Monster, die uns ans Leben wollen, sehen aus wie das Gummibärchen Dr. Jekyll in der Mr.Hyde-Phase. Die Welt ruft, das Musketier-Syndrom, „Einer für alle, alle für einen“. Der amerikanische Nationalfeiertag wird zum Feiertag der ganzen Welt. Den finalen Rettungsschuß erhalten die Glibber-Gangster aus der sehr entlegenen Galaxie von einem besoffenen Agrarflieger, der zu blöd war, Nachbars Garten zu treffen. Eigentlich geht das alles nicht. Und genau deswegen macht es Emmerich, mit der unschuldigen Mine des spielenden Kindes, das noch nicht weiß, was es alles nicht darf in dieser Welt.

Diesen Film ist nicht das Resultat von Regie und Technik, er ist das Ergebnis eines klugen Kalküls, es ist der Erfolg der Hemmungslosigkeit. Dieser naive Charme des Märchenerzählers verbindet all den Quark – und köchelt ihn zum süßen Brei. Und so ist der Erfolg dieses Filmes zwar, wiewohl ein merkwürdiger, doch ein durchaus verdienter: Er hat sich getraut.

„Vielleicht“, mutmaßt ein hoffend Alternder gelegentlich der anfliegenden Aliens, „vielleicht bringen sie uns Elvis wieder“. Aber das traut sich noch nicht einmal Roland Emmerich. Der expediert nur die bösen Gummibärchen „Return to Sender“.

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben 1996

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine