Regisseur Lars von Trier, einer der wichtigen Vertreter der Dogma-Bewegung, war bisher stets auffallend darum bemüht, Sehgewohnheiten zu brechen. Er gab sich gern als Anarchist des Kinos. Den Ruf hat er in Cannes, beim Festival, in diesem Jahr unterstrichen – mit, sagen wir mal, „unglücklichen“ Äußerungen auf einer Pressekonferenz. Die lassen den Verdacht zu, der Mann sei schlichtweg ein Nazi. Freilich: Leute, die ihn kennen, beharren darauf, dass dem nicht so sei. Lars von Trier, der wohl ständig wegen Depressionen unter Medikamenten steht, habe sich lediglich absolut falsch ausgedrückt. Keine Ahnung, was stimmt. Auf jeden Fall waren seine vorherigen Filme stets von einer ziemlich heftigen Menschenfeindlichkeit gezeichnet. Ich hab damit so einige Mühen.

Nun also ein explizites Endzeit-Drama: Justine (Kirsten Dunst) ist eine melancholische Frau. Doch sie möchte zu den Durchschnittsbürgern gehören. Ausgerechnet eine unwirklich-üppige Hochzeitsfeier auf einem Schloss in Schweden soll ihr dazu verhelfen. Doch nur mit Mühe und falschem Lächeln erträgt sie all den blendenden Plunder und hohlen Budenzauber. Nächtens dann erschrickt die junge Frau heftig, als sie am Sternenhimmel eine seltsame Entdeckung macht. Gut möglich, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorsteht. Ihre auffallend liebevolle Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) fühlt sich auch nicht gerade wohl in ihrer dünnen Haut. Sie fürchtet sich enorm vor dem Planet Melancholia. Es nutzt nichts, dass Gatte John (Kiefer Sutherland), unentwegt versichert, dass der Riesenplanet an der Erde vorbeifliegen wird. Claire denkt an Suizid, Justine aber wirkt ausgerechnet in dieser schreckensbelasteten Situation immer unbeschwerter. Rätselraten ist angesagt.

Rätselraten ist vielleicht das Stichwort. Stimmt es, dass Lars von Trier Justine als sein alter ego betrachtet? Was hat es mit der drohenden Gefahr aus den Tiefen des Alls auf sich? Welche Bilder sind pur zu nehmen, welche als Metapher? Wer mag, kann grübeln und grübeln und grübeln. Es ist aber auch möglich, den Film ganz anders zu sehen. Kirsten Dunsts Spiel, geprägt von angenehm schlichter Konzentriertheit, bringt eine geradezu humorvolle Ebene ein. Man darf auch Schmunzeln! Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen. Comedy wird nicht geboten, keine leichte Kost. Aber Lars von Trier, so kann man deuten, bietet durchaus eine Lesart an, die auf heitere Gelassenheit setzt. Mir kam es so vor, als wolle er sagen: Alles Mist, das Leben hat keinen Sinn, aber wir sind nun mal dazu verdonnert worden, also stehen wir den Quatsch mit Würde durch. Ich finde, das ist keine schlechte Haltung! Kirsten Dunst macht eine ausgesprochen gute Figur dabei. Es scheint, als habe sie genau diese Haltung verinnerlicht. Schon gibt es Rezensenten, die wissen wollen, dass die Darstellerin selbst bereits an einer Depression gelitten habe, und mehr sich selbst als eine Figur darstelle. Ob dem so ist oder nicht, das ist egal. Es zählt, dass sie der Figur eine starke, anziehende Präsenz gibt, die es einem erlaubt, in den Film „einzusteigen“, auch wenn man sich nie sicher ist, was man da kapiert hat und was nicht, und ob es überhaupt irgendetwas zu kapieren gibt.

Neben Kirsten Dunst sorgen Charlotte Gainsbourg, John Hurt, Stellan Skarsgard, Alexander Skarsgård und Kiefer Sutherland für schauspielerische Qualität. Der Clou schlechthin: Charlotte Rampling als Mutter. Sie hat nur wenige Szenen. Die aber prägen sich einem unvergesslich ein. Mit ihr an der Seite ginge man gern schnurstracks in den Weltuntergang.

Peter Claus

Melancholia, Lars von Trier (Dänemark / Schweden 2011)

Bilder: Concorde