Es gibt Filme, die touren von Festival zu Festival, werden gefeiert, und tauchen nie in unserem Kino-Alltag auf. Dieser ist so einer. Zum Glück hat sich nun ein Verleih gefunden. Wer gute Arthaus-Produktionen liebt, darf den Import aus

Die Geschichte beginnt simpel: Karen (Ángela Carrizosa Aparicio) verlässt ihren Mann. Die Ehe war im Nichts ausgetrudelt. Doch was soll die Ungelernte, die ein Jahrzehnt als Hausfrau verbracht hat, nun anfangen? Aussteigen und Neubeginn – schöne Schlagworte. Der kolumbianische Regisseur Gabriel Rojas Vera zeigt, wie schwierig es ist, sie mit Leben zu erfüllen. Karen landet erst einmal im Heer der Bettler. Doch sie hat Glück: In der Billigst-„Pension“, in der sie haust, lernt sie Patricia (María Angélica Sánchez) und durch sie schließlich den Schriftsteller Eduardo (Juan Manuel Díaz) kennen. Sogar eine handfeste Anstellung in einem Buchladen winkt. Aber ist dem Glück zu trauen?

Als Erstes sticht einem die exzellente Bildgestaltung ins Auge. Die Kamera ist immer ganz nah bei Karen, rückt ihr jedoch nie distanzlos auf die Pelle. Die Würde der Figur bleibt gewahrt. Für Ángela Carrizosa Aparicio war das natürlich die Chance, als sensible Charakterdarstellerin aufzutrumpfen. Sie nutzt die Chance famos. Ängste, Träume, Sehnsüchte, Sorgen, Freude – sie zeigt alles, von Kamera und Schnitt dabei geradezu perfekt gestützt und getragen. Drehbuch und Regie von Gabriel Rojas Vera nicht zu vergessen. Seine Sensibilität ist beachtlich. Sie drückt sich insbesondere darin aus, dass vieles ungesagt bleibt und nicht gezeigt wird. Der Zuschauer wird als Partner gefordert, muss sich „seine“ Geschichte bauen. Das ist – für Freunde des Anspruchsvollen – außerordentlich spannend. Kaum zu glauben, dass es sich um einen Debüt-Film handelt!

Peter Claus

Karen llora en un bus / Karen weint im Bus, von Gabriel Rojas Vera (Kolumbien 2011)

Bilder: Arsenal Institut