Nach dem letzten Filmfestival von Venedig redeten alle nur vom Skandal. Als solchen hatte die italienische Organisation „No 194“ den Film nach seiner Uraufführung gebrandmarkt. Der ultrakonservative Verein heißt so, weil er damit gegen den relativ liberalen italienischen Schwangerschaftsabbruch-Paragraphen (§194) protestiert. Nun also auch gegen diesen Film. Die „guten Christen“ erstatteten sowohl gegen die Festivalleitung als auch gegen Regisseur Seidl und seine Hauptdarstellerin Maria Hofstätter Anzeige wegen Gotteslästerung. – Wenn überhaupt Skandal, dann kann das Schlagwort nur auf das Vorgehen dieser Organisation gemünzt werden. Seidl kann’s nur recht sein: Denn das Getöse hat ihm und dem zweiten Teil seiner „Paradies“-Trilogie eine ungeheure Popularität beschert.

Als Anlass für die Wut gegen den Film dient eine Szene, in der Anna Maria „ihren Jesus“ anhimmelt und gar ein Kruzifix zur sexuellen Befriedigung nutzt. Die Kamera deutet das nur dezent an. Schmutziges sieht da nur, wer es sehen will. In ihrer Konsequenz wirkt dieser Moment übrigens absolut glaubwürdig. Anna Maria liebt wirklich. Und Liebe macht bekanntlich oft blind und taub gegenüber der Wirklichkeit. Davon, und von den Auswirkungen solcherart übersteigerter Liebe, erzählt der Film, meines Erachtens der stärkste der Trilogie. Gerade durch seine Überzeichnung weist „Paradies: Glaube“ über sich hinaus und richtet sich gegen jede Form von Fanatismus, ob nun religiös, ideologisch oder sonst wie motiviert. Dabei hetzt der Film in keiner Sekunde gegen den Glauben an sich. Die Figur des Nabil betont sogar, welche große Bereicherung die Hinwendung zur Religion dem Einzelnen geben kann. Abgelehnt und satirisch bloß gestellt wird allein ein überzogener Glaube, der zu Intoleranz gegenüber allem führt, was nicht ins eigene Denkschema passt. Und das ist in unserer Zeit doch wohl dringend nötig!

Peter Claus

Paradies: Glaube, von Ulrich Seidl (Österreich/ Frankreich/ Deutschland 2012)

Bilder: © Neue Visionen