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Es darf gestaunt werden: satte sechzig Stunden umfasst die „Heimat“ von Edgar Reitz nun schon. Beim Internationalen Filmfestival in Venedig kam der bisherige, vier Stunden dauernde Abschluss unter dem Titel „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“ heraus – und erntete keinesfalls nur euphorischen Beifall. Das unschöne Wort  „Freiluftfilmmuseum“ war gelegentlich zu hören.

Zum vierten Mal also reist der aus dem Hunsrück stammende Autor und Regisseur Edgar Reitz in das fiktive Hunsrück-Dorf Schabbach. Diesmal allerdings reist er zeitlich besonders weit zurück, nämlich in die 1840er Jahre, und blickt auf die Zeit noch vor den revolutionären Ereignissen von 1848. Das ist ein pralles Panoptikum, ein satter Bilderbogen, eine Reihe von schönen, traurigen, witzigen, albernen, ernsten Momenten deutschen Familienalltags. Dabei gibt es ein Problem: soziale Hintergründe erhellt Reitz nicht. Auch psychologisch lotet er die doch überwiegend holzschnittartig angelegten Figuren kaum aus. Wieder hat er in Schwarz-Weiß gedreht und setzt gelegentlich Farbtupfer ein, um Wunderbares ganz wunderlich zu zeigen: reife Kirschen am Baum, ein grüner Rock, eine braun-goldene Quarzscheibe, die so etwas wie einen rosaroten Blick auf die Welt gewährt. Genau den bevorzugt Edgar Reitz. Selbst Hungersnot und Armut muten pittoresk an. Reitz-Fans ficht das freilich nicht an. Sie jubeln. Das versteht auch, wer von dem Opus eher enttäuscht ist. Denn bei allen formalen Grobheiten, etwa der nervend-vordergründigen Musik und viel zu viel Erklärendem via Erzählerstimme, ist eines doch von Reiz bei Reitz: der Film ist ganz von der Liebe zu den Protagonisten erfüllt. Und das versöhnt.

 

Peter Claus

Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht, von Edgar Reitz (Deutschland 2013)

Bilder: © Concorde Filmverleih