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Vor drei Jahren rumorte es in Berlins Ballettszene. Denn Vladimir Malakhov kündigte an, zum Ende der Spielzeit 2013/14 seinen Vertrag als Intendant des Staatsballetts Berlin und Erster Solist nicht zu verlängern. Die politisch Verantwortlichen starteten eine hektische Suche. Ihre erste (und gute!) Wahl fiel auf Martin Schläpfer. Doch der Schweizer sagte Nein. Was viele betrübte und verwunderte. Warum nur gab er Berlin einen Korb? Erlebt man ihn jetzt in dieser sehenswerten Dokumentation, versteht man seine Entscheidung. Der Mann ist einfach zu klug. Und: Er ist ein Mensch. Er hätte sich in Berlin kaum wohl gefühlt.

Der Tänzer und Choreograph Martin Schläpfer ist derzeit international einer d e r Ballettstars. Regisseurin Annette von Wangenheim aber zeigt kein Star-Porträt. Sie erkundet in ihrer Dokumentation, was den Mann antreibt und umtreibt. Von 1999 bis 2009 leitete Martin Schläpfer das ballettmainz am Staatstheater Mainz. Mit Neuinterpretationen von Klassikern und Uraufführungen hat er hier Weltruhm erlangt. Seit 2009 reiht er als Ballettdirektor und Chefchoreograf an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg Erfolg an Erfolg. Im Film ist einmal einer seiner Leitsätze zu hören, einer der Sätze, die einen erahnen lassen, was seinen Erfolg bestimmt „Es geht um Seele. Es geht um Poesie. Und trotz allem Drama, trotz allem Schmerz, ist da auch immer die Hoffnung.

Viele Filmemacher hätten den innovativen Künstler wohl mit innovativen filmischen Mitteln erfassen wollen. Nicht so Annette von Wangenheim. Sie hat sich für eine wohltuend konventionelle Form entschieden: Momentaufnahmen aus Aufführungen, Selbstaussagen von Martin Schläpfer und Interviews mit einigen seiner Weggefährten ergeben eine vielfarbige Charakterstudie. Aus der Ruhe des stillen Beobachtens erwächst effektvoll ein schillerndes Porträt. Das ist auch für Menschen leicht zugänglich, die dem Tanz ansonsten eher fern bleiben. Denn Schläpfer, der nie für einen kleinen Kreis Eingeweihter arbeiten will, sondern immer für möglichst viele, wird als ein von Demut getragener Mann erlebbar, Demut gegenüber den Ausdrucksmöglichkeiten der Kunst und gegenüber dem Publikum.

Schläpfer, der Choreopgraph, hebt oft die Grenzen zwischen Tradition und Moderne auf. Dem Film gelingt es mit Sanftmut und Sensibilität, seine Arbeit vorzustellen und ihn selbst. Ob im Probensaal, auf der Bühne, in seinem Zuhause oder in der Natur: nie wirkt Schläpfer angestrengt bemüht. Auch der Film nicht. Das macht ihn groß. Annette von Wangenheims Dokumentation entspricht hervorragend einem Mann, der meint „Ich finde es immer sehr schwierig, zu sagen, ich bin ein Künstler. Was ist das genau?“ Und sein leises Lächeln wirkt alles andere als kokett. – Martin Schläpfer verkauft sich nicht. Auch nicht in diesem Film. Er posiert nicht. Man schluckt auch ab und an, denn Ecken und Kanten bleiben nicht verborgen. Vor allem aber freut man sich, dass da jemand ist, dem die reißerische Selbstvermarktung fremd ist. Schläpfer steht nicht auf Show, er sucht gedankliche Tiefe. Darin folgt ihm der Film – und strahlt, wie der Protagonist selbst, schließlich eine satte Schönheit aus.

Peter Claus

© Real Fiction

Feuer bewahren – nicht Asche anbeten, von Annette von Wangenheim (Deutschland 2016)