Sie war ein Superstar für unserer Großeltern und Urgroßeltern: die französische Autorin Colette (1873 – 1954), eigentlich Sidonie-Gabrielle Claudine Colette. Ihre Berühmtheit ist mit der heutiger Pop-Stars vergleichbar. Ihr Markenzeichen war ein frivol-eleganter Stil in der Zeichnung üppiger Sittengemälde. Ihre Popularität rief auch immer wieder Filmschaffende auf den Plan. Schon zu Zeiten des Stummfilms wurden Werke von Colette für die Leinwand adaptiert. Und „Gigi“, ein auf ihrem gleichnamigen Kurzroman basierendes Hollywood-Musical, schlug 1959 Kassenrekorde und gewann neun Oscars. Das hat sie selbst nicht mehr erlebt. Fünf Jahre zuvor ist Colette gestorben – und bekam, als erste Frau in Frankreich, ein pompöses Staatsbegräbnis.
Heutigentags ist sie nicht mehr derart bekannt, wie einst. Was sich ändern sollte, wie dieser Spielfilm über ihre Anfänge als Künstlerin eindrücklich belegt. Zu diesen Anfängen gab es schon einmal einen Kino-Spielfilm, herausgekommen 1991, die US-amerikanisch-deutsche Ko-Produktion mit dem Titel „Becoming Colette“. Darin allerdings wird der Weg der Jugendlichen aus der Provinz zum Weltruhm arg glatt gezeichnet. Trotz der Mitwirkung bekannter Akteure wie Mathildy May und Klaus-Maria Brandauer kam damals nicht viel dabei heraus. Der Film ist zurecht nahezu vergessen. Regisseur Wash Westmoreland („Still Alice – Mein Leben ohne Gestern“) und seine beiden Drehbuchmitautoren erzählen im Grunde gar keine so andere Geschichte. Ihr Film hat jedoch mehr Gewicht, weil sie im Vergleich zu ihren Vorgängern einen entscheidenden Perspektivwechsel vorgenommen haben: Sie entwickeln keine voraussehbare Emanzipationsstory, sondern zeichnen das Porträt einer Frau, die nicht sich ändern muss, sondern ihre Umwelt. Dabei baut sie durchaus auch auf das, was zu ihrer Zeit als die „Waffen einer Frau“ bezeichnet wurde, also erotische Präsenz. Aber sie hat dabei stets das Sagen. Bereits am Anfang des Films wird das deutlich: Teenager Gabrielle (Keira Knightley) wird vom fast ein Vierteljahrhundert älteren Schriftsteller Willy (Dominic West), eigentlich Henry Gauthier-Villars, besucht. Die Eltern (Fiona Shaw und Robert Pugh) hoffen darauf, dass er um die Hand der Tochter bittet. Was er erstmal nicht tut. Gabrielle spielt die Dame und verabschiedet sich zu einem Spaziergang, allein. Angeblich. In Wahrheit trifft sie sich mit dem Lebemann im Heu. Er wird von der Lust weggerissen, sie hält Verlangen und Berechnung klug in der Balance. Die junge Frau will partout in die große Stadt. Willy erscheint ihr dafür als idealer Partner. Zudem sind beide einander wirklich aufrichtig zugetan. Was ihn nicht daran hindert, mit anderen Frauen sexuelle Bindungen einzugehen. Gabrielle, ganz pragmatisch, nutzt das für eine Vereinbarung: Er darf tun und lassen, was er will, und sie ebenfalls. Was er – mit wirklichem Respekt seiner Frau gegenüber – gern akzeptiert. Da kann er es auch verschmerzen, ungewöhnlich Ende des 19. Jahrhunderts, dass sie sich ohne seine Einwilligung ein Kleid anfertigen lässt. Problematisch wird es dann allerdings, als es um andere Kaliber geht, nämlich ums Geschäft. Willy lässt sie für sich schreiben und veröffentlicht ihre Geschichten unter seinem Namen. Die Kasse klingelt. Aber sie begehrt auf. Sie will den Glanz des Ruhms selbst. Und sie will auch den Verdienst. Gabrielle verwandelt sich in Colette – und Willy guckt dumm aus der Wäsche.
Die Figur des Willy schreit geradezu nach einer Karikatur. Aber die wird erfreulicherweise nicht geboten. Dominic West zeigt ihn als respektablen und durchaus feinsinnigen Menschen. Willy ist ein Mann, der einer Frau Unabhängigkeit und Selbständigkeit zugesteht, sie sogar dabei unterstützt – solange all das ihm selbst nicht in die Quere kommt. Damit ist er vielen Männern von heute ähnlich, Männer, die sich gern für Gleichberechtigung einsetzen, wenn sie nur nicht selbst davon betroffen werden. Auch die Titelfigur, Colette selbst, wirkt, bei aller historischen Eingebundenheit, auffallend modern. Was sie ja wohl auch wirklich war. Keira Knightley („Stolz und Vorurteil“, „Anna Karenina“, „Alles, was wir geben mussten“) zeigt hier eine ihrer bisher besten Darstellungen. Sie offenbart eine Persönlichkeit mit vielen Seiten, liebenswürdig aber auch mal hart und schroff. Keira Knighley hat einen entscheidenden Anteil daran, dass der Film nie zur vordergründigen Agitation wird. Sie zeigt einen wachen Geist, der durch verschiedenste Herausforderungen reift. Sie zeigt einen Charakter, nicht nur einen Typ.
Die Inszenierung von Wash Westmoreland baut auf einen selbstbewusst-ironischen Grundton. Visuell herrscht satte Eleganz. Dabei wird Colette als eine Frau gezeigt, die sich erfolgreich daran macht, die Verhältnisse zu ändern und nichts und niemanden einfach so hinzunehmen bereit ist. Deutlich gezeigt wird – angenehm beiläufig – auch ihre sexuelle Selbständigkeit. Colette fühlte sich von Frauen und Männern angezogen und gab dem gern nach. Westmoreland erzählt davon ohne spekulative Momente, nutzt diese Seite ihres Wesens geschickte als weitere Facette, um ihre Selbstbehauptung zu illustrieren.
Colette hat es geschafft: sie war erfolgreich, anerkannt, hatte enormen Ruhm, mit dem sie klug umzugehen wusste, konnte finanziell unabhängig leben. Bücher wie „Chérie“, „Mitsou“ oder „Erwachende Herzen“ haben sich millionenfach verkauft. Sie selbst musste sich nicht verkaufen. Der Film zeigt – unterhaltsam, intelligent und mitreißend – wie ihr das gelungen ist. Und siehe da: Colette hat nach wie vor das Potential zu einer Leitfigur, für jedefrau und jedermann.
Peter Claus
Colette, von Wash Westmoreland (Ungarn / USA / England 2018)
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