Noch eine Entdeckung

Nein, der italienische Wettbewerbsbeitrag „Quando la Notte“ von Regisseurin Cristina Comencini war keine Entdeckung. Das Melodram um Sie und Ihn wurde denn auch in der Vorführung für die internationale Presse einfach ausgelacht. Kitsch kann ja schön sein. Doch wenn aufgeblasen mit pseudophilosophischen Dialogen, ist’s halt nur peinlich.

Auch „Faust“ von Alexander Sokurov (Russland) hat nicht überzeugt. Angeregt von Goethes Roman hat der Autor-Regisseur eine üppig ausgestattete Phantasie um die berühmte Geschichte herum (fast nur mit deutschsprachigen Schauspielern) gestemmt. Auch hier winkte die Mehrzahl der Journalisten müde ab. Kunstgewerbe.

Eine wahre Entdeckung hingegen: „Hahithalfut“ (The Exchange) aus Israel von Regisseur Eran Kolirin. Der Film bündelt das Hauptthema des Festivals – die Vereinsamung der Individuen in einer allem Individuellen gegenüber feindlichen Gesellschaft – extrem. Ohne illustrierende Musiksauce, mit spärlich, knappen Dialogen, getragen von reduziertem Schauspiel, wird zunächst die Geschichte eines Mannes, dann mehrerer Personen erzählt. Sie alle sind vollkommen unfähig zur Kommunikation. Ihnen fehlen wirklich die Worte, aber auch die Gesten. Und sie sind getrieben von einer ungeheuren Angst vor Veränderungen jedweder Art – sei es privat, sei es beruflich. Absurde Spiele sorgen für kleine Abwechselungen, bringen aber nicht wirklich Gewinn, egal, welcher Art. Wir schauen lebenden Toten zu – in einer sozialen Gemeinschaft, die offenbar dazu verführt, sich (geistig) tot zu stellen.

Es gibt keine äußerliche Gewalt, der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern wird nicht einmal auch nur angedeutet, und doch vibriert der Film nur so von Brutalität, von der Brutalität des ganz gewöhnlichen Dahinsiechens in einem Dasein ohne wirklichen Sinn. „Hahithalfut“ ist kein Film für ein Massenpublikum. Das ist typisches Arthouse-Kino, aber vom Feinsten. Noch ein Kandidat für die Jury. Derer gibt es inzwischen so viele, dass die Spekulationen der Journalisten auf Sparflamme kochen. Doch Jede und Jeder hat ihren bzw. seinen Favoriten. Der Samstagabend, die Preisverleihungsgala, ist also in jedem Fall für Überraschungen gut.

 

Peter Claus aus Venedig, 7. September 2011

Bild:  Hahithalfut (la Biennale di Venezia © 2011)